Theorie und Praxis – oder wie es an der Basis wirklich aussieht.

Schiesst mehr Sauen, haben sie gesagt. Die ASP kommt, haben sie gesagt. Ihr tragt Verantwortung, haben sie gesagt. Hier habt ihr Nachtsichtgeräte, da wird es ganz einfach, haben sie gesagt. Wir erlassen euch die 2,84 Euro Untersuchungskosten, haben sie gesagt. Als Ansporn, haben sie gesagt.

Und tatsächlich, es gibt da draussen Jäger wie uns, die fühlen sich dem verpflichtet. Reduzieren der Wildsaubestände, Vermeidung von Wildschäden, Verhinderung der ASP. Wir investieren, viel Zeit und auch viel Geld.

Wir rüsten für 10.000 Euro eine Wildkammer aus, da die Wildbrethygienevorschriften mittlerweile hohe Anforderungen stellen. Wir verbringen viel Zeit mit der Verarbeitung von Wildbret, weil niemand mehr ganze Stücke in Decke oder Schwarte kauft, oder kaufen darf – denn auch Gastronomen sind an die Vorschriften gebunden, und kaum einer hat die dafür notwendigen Räumlichkeiten.

Wir investieren in Technik, weil in den meisten Revieren nur noch nachts erfolgreich und sicher gejagt werden kann.

Damit diejenigen, die uns immer sagen, was und wie zu tun ist, mal wissen, wie es draussen an der Basis aussieht, schildere ich hier gerne meine letzte Woche im Revier:

Im Juli und August habe ich mehr Strecke gemacht als das Revier im gesamten letzten Jagdjahr. Ich war häufig draussen, weil nicht mehr auf den Mond angewiesen.
Und es hat sich gelohnt, mittlerweile habe ich 10 Sauen zur Strecke gebracht. Leider ich alleine, denn meine Mitjäger scheuen verständlicherweise die hohen Investitionskosten in die dafür notwendige Technik, die ja auch reviergebunden ist.

Die Truhen sind voll, so voll, dass vielleicht noch eine Sau in den mittlerweile drei Tiefkühlschränken Platz findet. Einige portionierte Rücken- und Nackenstücke konnte ich als Grillfleisch an meine Wildbretkundschaft – immerhin habe ich 136 Adressen in meiner Liste, die ich regelmässig per Mail informiere – verkaufen. Im Sommer ist die Nachfrage eher mässig.

Trotzdem raus ins Revier, nachdem das Getreide nun gedroschen ist, gehen die Sauen im Mais zu Schaden, da heisst es Präsenz zeigen. So wie am Freitag nacht, als ich um 23.30 zwei Frischlinge am Mais strecken konnte, zwei aus einer Rotte von über 30 Stück, die vom Wald über die Wiese ins Feld wechselten. Bergen, heimfahren, aufbrechen, versorgen, putzen: Um 1.30 Uhr am Samstag war der Tag für mich dann zu Ende.

Den Aufbruch – früher ins Revier verbracht – entsorge ich nun in einer Kleintierkadaver-Sammelstelle. Das ist am Samstag schnell erledigt, ich brauche nur 10 km Autofahrt und eine dreiviertel Stunde dazu. Den Weg mache ich natürlich zweimal, denn die Reste vom Zerwirken müssen ebenfalls ein paar Tage später ebenfalls in die Sammelstelle.

Montag vor der Arbeit muss die Trichinenprobe zur Untersuchung, denn laut Liste muss man die Proben am Montag, Dienstag und Donnerstag vor 8 Uhr abgeben. Dafür gibt es im gesamten Landkreis Ludwigsburg ganze drei Untersuchungsstellen. Nach Besigheim 14 km einfacher Weg, 23 Minuten einfache Fahrstrecke. Früh im Berufsverkehr natürlich länger, aber nach 90 Minuten ist das auch erledigt und ich kann entspannt zur Arbeit. Gerne hätte ich die Probe persönlich abgegeben, aber ich kann deswegen keinen ganzen Tag Urlaub nehmen – also ab in den Briefkasten damit. Vom Büro aus rufe ich dann an und verweise auf den Briefkasten, damit die da nicht vergessen wird.

Da mittlerweile der Mais gehäckselt wird, frage ich vorsichtshalber nach, wie die Urlaubssituation ist und wann wieder verprobt wird – Dienstags überhaupt nicht mehr, höre ich, aber Donnerstag wie gehabt.

Ich entscheide mich, am Dienstag nacht wieder rauszugehen. Die Frischlinge, die noch im Wildkühlschrank hängen, kann ich morgen zerwirken, dann ist wieder Platz genug. Der Tag ist lang, und eigentlich habe ich um 21.30 Uhr fast keine Lust mehr. Trotzdem fahre ich raus – bin um 22 Uhr an meinem Beobachtungspunkt angekommen, mit der Wärmebildkamera sehe ich Hasen, Rehe, Füchse, aber noch keine Sau. Um 22.10 Uhr kommt ein Reh aus dem Mais beim Bauer Gögel, ca. 400 m entfernt. Kommt langsam näher – hmm, für ein Reh doch etwas massiv – tatsächlich eine Sau. Um es kurz zu machen, das Wildschwein tut mir den Gefallen, auf mich zu zukommen, und ich kürze den Weg ab – so treffen wir uns auf halber Strecke, das Treffen meinerseits ist endgültig, und so kann ich um 22.38 Uhr zurück zum Auto, um die Sau zu bergen. Dann weiter wie gehabt, nur dass ich diese Nacht schon um 0.45 Uhr ins Bett kann, nach Aufbrechen, Versorgen, Putzen.

Am Mittwoch morgen gleich die kleine Telefonrunde gemacht – und tatsächlich, ein Gastronom in der Kundschaft würde den 48 kg schweren Überläuferkeiler am Samstag für ein Grillfest nehmen. Da trifft es sich gut, dass am Donnerstag verprobt wird. Also fahre ich um 14.30 Uhr 14 km einfachen Weg, 23 Minuten einfache Fahrstrecke, treffe wie gehabt niemanden an – die Öffnungszeiten einer Tierarztpraxis korrelieren einfach nicht mit meinen Freizeiten. Zum Glück gibt es da den Briefkasten.

Auf dem Rückweg entsorge ich den Aufbruch in einer Kleintierkadaver-Sammelstelle. Ich brauche nur 10 km Autofahrt und eine dreiviertel Stunde dazu.

Wieder schreibe ich eine Email mit bekanntem Inhalt – und wenig später kommt auch schon die Antwort. Donnerstag KEINE Verprobung, erst Montag wieder, und bitte nichts mehr in den Briefkasten werfen…

Ganz prima. 48 kg Sau hängen in der Kühlung, sollen am Samstag abgeholt werden. Mit Verprobung und Wildurspungsschein. Und nun? Am Dienstag will der Gastronom das Wildbret nicht mehr haben, ich bleibe drauf sitzen. Und nein, wegen EINER Sau brauche ich keinen Wildhändler anzurufen. Also wieder in kleine, portionsgerechte Stücke zerwirken („500g? Geht es nicht kleiner, wir sind nur zu viert“) und am selben Tag die Zerwirkreste in die Kleintierkadaver-Sammelstelle bringen. Ich brauche nur 10 km Autofahrt und eine dreiviertel Stunde dazu.

Schiesst mehr Sauen, haben sie gesagt. Die ASP kommt, haben sie gesagt. Ihr tragt Verantwortung, haben sie gesagt. Hier habt ihr Nachtsichtgeräte, da wird es ganz einfach, haben sie gesagt. Wir erlassen euch die 2,84 Euro Untersuchungskosten, haben sie gesagt. Als Ansporn, haben sie gesagt.

Mittlerweile weiss ich, warum viele meiner Jagdkollegen nur noch mit den Schultern zucken und sich wegdrehen, wenn die Sprache auf mehr Schiessen kommt. Nur ich habs wieder zu spät kapiert…

Bleib lieber auf dem Sofa, haben die gesagt. Du wirst die Sauen nicht los, haben die gesagt. Du legst Geld drauf mit jeder Sau, die du verkaufst, haben die gesagt. Die da oben helfen dir nicht, haben die gesagt. Nur Worte, keine Taten, haben die gesagt.

Theorie und Praxis – oder wie es an der Basis wirklich aussieht.

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